Froschkönig. Das Prequel.

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Verzeiht, mein Herr, meine Dame, bitte, bitte trinken Sie nicht aus diesem Brunnen. Das könnte entsetzliche Folgen nach sich ziehen.

Warum das, möchten Sie erfahren? Wer ich überhaupt bin, erkundigen Sie sich?  Was ich hier eigentlich mache, wollen Sie wissen? Ach, davon will ich euch gewisslich gerne berichten.

Heinrich ist mein Name. Meines Zeichens bin ich der Leibdiener von Prinz Frederik von Nasserau.

Ja, werter Herr, ich weiß, meine Livree ist arg schäbig für einen königlichen Leibdiener, aber so wie die Umstände liegen, kann mein Prinz da nicht meckern. Hehe, das ist gut, meckern. Er könnte höchstens quaken.

Was fragt ihr mich? Ob er die Stimme verloren hat? Liebwerte Dame, er quakt, weil er ein Frosch ist. Fred Frosch der Erste, hehe.

Ja, natürlich, ich weiß wohl, dass es so klingt, als hätte ich den Verstand verloren. Aber es gibt eine völlig unnatürliche Erklärung. Die Geschichte ist schnell erzählt: Vor einigen Jahren begab sich Prinz Frederik auf Brautschau und reiste von Hof zu Hof, auf der Suche nach einer passenden Gemahlin.

Keine einfache Aufgabe, denn die Prinzessin – und eine Prinzessin musste es sein – hatte unbedingt anmutig und schön zu sein. Ferner musste sie eine außerordentlich reiche Mitgift erwarten können. Nur so konnte sie den Ansprüchen meines Prinzen genügte. Er hatte – unter uns – eine völlig überzogene Vorstellung von seinem eigenen Wert. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach musste sie außerdem recht dumm sein, denn sonst würde sie auf den ersten Blick erkennen, was für ein Schaumschläger Prinz Frederik war.


Aber letztlich hätte er unter den Damen von Geblüt sicherlich eine passende Gemahlin gefunden, wenn es nicht auf der Fahrt zum dreizehnten königlichen Schloss ein Malheur gegeben hätte. Unser Kutscher lenkte die prächtig verzierte Reisekutsche ungeschickt in einen nassen Graben, die Karosse kippte und schon war das Rad entzwei. So etwas ist an sich schon schlimm genug, aber warum musste das gerade an diesem dreimal gottverfluchten Tümpel passieren?

Was? Fluchen ist unziemlich? Ich bitte aufrichtigst um Verzeihung, wenn ich eure Ohren besudelt habe, holde Maid, aber wenn es euch so ergangen wäre wie mir, könnte sich selbst eure liebliche Stimme zu unfeinen Worten erheben.

Unser Kutscher trabte auf Schusters Rappen davon, um einen Stellmacher zu finden, der das Rad richten könnte. Ihre Hochwohlgeboren und ich hingegen standen wie bestellt und nicht abgeholt auf der staubigen Landstraße herum.

Mein hoher Herr echauffierte sich fluchend wie ein Landsknecht über den Kutscher. Danach regte er sich über die Undankbarkeit von Prinzessinnen im Allgemeinen auf und beklagte ausschweifend die Unfähigkeit seines Leibdieners im Besonderen. Ich sei ein nichtsnutziger Tropf, unfähig, ihm vor den ärgsten Unannehmlichkeiten zu bewahren und für die mindeste Bequemlichkeit zu sorgen. Ich stand mit Sündermiene vor ihm, ließ die Schultern ergeben hängen, entschuldigte mich demütigst und kochte innerlich vor Wut. Schließlich hatte er hinreichend gejammert und es wurde meinem Herrn und Gebieter langweilig.

Er teilte mir hoheitsvoll mit, dass er geruhe, einige Schritte am Ufer des Sees zu promenieren. Eine törichte Idee, wenn man feine, weiße Seidenstrümpfe und modische Pluderhosen trägt. Als königlicher Leibdiener war es jedoch meine Pflicht, ihn zu begleiten und ihm ganz nach Wunsch den Malakka Gehstock, den Schnupftabak oder das Taschentuch zu reichen.


Eine Myriade Mücken gaben uns die Ehre. Die Sonne stand hoch, der Schweiß lief dem Prinzen unter der gepuderten Allongeperücke hervor und ruinierte sein manikürtes Gesicht. Der Morast, von dem es im Übermaß gab, klebte an den zinnoberroten Absätzen seiner Hoheit. Kurz, weder mein Herr noch ich haben diesen Ausflug besonders genossen.

Prinz Frederik war also nicht in bester Stimmung, als eine Bettlerin aus dem Schilf hinkte. Ihr hättet dieses Weib sehen sollen: Das Haar wirkte wie ein nasser Staubwedel, die Schürze bestand aus schmutzigen Flicken, Warzen und Pusteln wetteiferten auf einem verhutzelten Gesicht um die besten Plätze. Sie war ein abstoßendes Subjekt, das man selbst bei bester Laune nicht mit Wohlgefallen betrachtet hätte.

Die hässliche alte Schachtel versperrte uns den Uferweg und begann zu betteln: „Eine milde Gabe für eine arme Frau. Gott wird es euch lohnen!“ Sie drängte sich an den Prinzen heran und hielt ihm die Krallenhand dicht vor die Nase. Der Geruch nach fauligen Binsen und, ich bitte um Verzeihung, werte Dame, Hühnerscheiße wehte mir in die Nase. Mein Prinz blieb stehen und hob distinguiert seine Lorgnette an die Augen. „Eine milde Gabe, Gott wirds lohnen“ wiederholte sie hartnäckig und ihre Augen funkelten dabei giftig.

Er besah sie angewidert, lies seine Sehhilfe fallen und rümpfte die Nase. „Was für widerliche Warzen. Heinrich, schaffe er das Weib aus dem Weg“ befahl er mir und ich muss gestehen, dass mir dieser Befehl nicht ganz unlieb war. Auch ich war nicht angetan von unserer Begegnung. Ich trat also vor, packte die Alte am Schlafittchen und schmiss sie in hohem Bogen ins trübe Wasser des Weihers. Der Schlamm spritze hoch bis zu unseren elegant gebügelten Beinkleidern. Ohne uns weiter nach der zeternden Alten umzusehen, schritten wir besudelt, aber erhobenen Hauptes den matschigen Pfad entlang. Ihr Fluch hallte hinter uns her.

„Möge des Wassermanns Strafe dich treffen, du arroganter Schnösel, samt deinem ungehobelten Bückling. Meine Warzen gefallen dir? Na warte, die sollst du haben! Und die passende Gestalt gleich noch dazu! Waras, Waram, Werum, Qaras, Quarem, Quak.“

Was? Donnerschlag? Ihr glaubt mir wohl nicht recht? Aber der Herr hat ganz recht. Es gab tatsächlich einen Donnerschlag, als der Zauberspruch seine Wirkung entfaltete und einen grellen Blitz dazu. Als ich die Augen wieder öffnete und sehen konnte, lagen die Kleider seiner Hoheit im Dreck und dazwischen saß ein überaus warziger Frosch in einem kränklichen Grün, blähte seinen Kehlsack auf und quakte hysterisch.


Ich bückte mich und hob das Amphibium hoch, um es genauer zu begutachten. Unverkennbar die Visage meines Prinzen, wenn auch in Froschgestalt. Was für ein Pech auch, dass er sich ausgerechnet mit einer Zauberkundigen angelegt hatte. Ich blickte mich nach der alten Hexe um, aber sie war spurlos verschwunden. Mir wurde blümerant zumute. Erklär deinem Arbeitgeber mal, dass sein Sohn die Spezies gewechselt hat. So etwas findet ein König nicht witzig. So etwas gefährdet die Thronfolge, kann zu diplomatischen Verwicklungen führen und ist überhaupt ein unmöglicher Skandal.

Ihr könnt euch also vorstellen, dass ich gründlich nach der Zauberin gesucht habe, in der Hoffnung, sie würde den Fluch aufheben. Aber soviel ich auch durch den Sumpf watete und nach ihr rief und flehte, mal Drohungen, mal Versprechungen ausstoßend, das Weib war verschwunden und blieb verschwunden. Schließlich setzte ich mich erschöpft auf einen Stein am Ufer, seine quakende Hoheit in der Hand und überdachte meine Optionen.

Den verwandelten Prinzen nach Hause ins väterliche Schloss zu bringen, erschien mir nicht als attraktive Perspektive. König Fridolin wurde auf seine alten Tage reizbar und jähzornig. Gut möglich, dass ich erhebliche persönliche Konsequenzen zu erdulden hätte, wenn ich mit einem Frosch anstelle eines Prinzen nach Hause käme.

Und mal ehrlich, was sollte der Frosch auch im Palast? Schwer vorstellbar, dass sich da nicht innerhalb kurzer Zeit ein trauriger Unfall ereignen würde, durch den sich die Thronfolge anderweitig regelte. An Königshöfen herrscht ein munteres Hauen und Stechen – Mitgefühl mit einem Frosch kann sich da keiner leisten. Hier am Teich hingegen hätte der grüne Geselle Umgang mit seinesgleichen, ja, mit etwas Geschick könnte er sogar Froschkönig werden. Das Beste wäre es, so dachte ich, ich ließ das Tier hier in seiner artgerechten Umgebung zurück und stellte meine Fähigkeiten als Leibdiener einem anderen Hof zur Verfügung. Ich setzte das Fröschlein also mit allen guten Wünschen auf den schleimigen Ufersand und machte mich spornstreichs vom Acker.

Was? Schäbig? Also bitte, mein Herr, meine Dame, was hättet ihr an meiner Stelle getan? Sicher, ihr hättet euch für einen unfreundlichen, arroganten Prinzen aufgeopfert, der euch während der gesamten Dienstzeit ständig schikaniert und getriezt hat. Klar. Was sonst.


Ich jedenfalls machte mich um den Tümpel herum und schlug mich in die Büsche. Frohgemut erreichte ich den Waldrand, schritt wacker aus – und hast du nicht gesehen, stand ich wieder neben dem Frosch am Ufer. Ihr könnt euch meine Verwunderung, ja, mein Befremden vorstellen. War ich im Kreis gelaufen? Ich wählte eine andere Richtung und versuchte mein Glück erneut. Fehlanzeige.

Was soll ich euch sagen, 300 Nasserauer Fuß war die größte Entfernung, die ich von meinem Herrn in Froschgestalt einnehmen konnte. Der Fluch hatte nicht nur den Prinzen getroffen, sondern hatte auch mich am Arsch, wenn ihr mir den derben Ausdruck verzeihen wollt. Ich war auf Gedeih und Verderb an den Frosch gebunden.

Anfangs zigeunerten der Prinz und ich durch die Lande, auf der Suche nach einem Magier oder Zauberkundigen, der den Fluch lösen konnte. Keiner nahm uns ernst und die meisten schmissen den Prinzen und mich in hohem Bogen raus. Das Zahlungsversprechen eines Froschkönigs hört sich nicht gerade glaubwürdig an, auch wenn der Frosch das höchstpersönlich quakt. Seine Hoheit hat eine recht undeutliche Aussprache und so wurde sein Flehen für den billigen Trick eines schlechten Bauchredners gehalten.

Letztlich verfiel der Prinz in Depressionen und verkroch sich hier in diesen tiefen Brunnenschacht. Er weigert sich, herauszukommen. Nur mittags, wenn die Sonne bis auf den Grund fällt, hüpft er herum und quakt erbärmlich. Dann lasse ich eine Tüte Fliegen runter in den Schacht, was soll ich auch sonst machen?

Seitdem sitze ich fest, hier auf der alten Streuobstwiese hinter dem Brunnen. Leider fliegen mir keine gebratenen Tauben in den Mund, deswegen habe ich mich aufs Schnaps brennen verlegt und in der alten Kutsche meine Destillerie eingerichtet. Das Geschäft läuft auch gut, ich habe mein Auskommen. Vor allem mein Birnenbrand ist sehr beliebt und für meinen Calvados kommen die Leute von weit her. Und meine Preise sind reell. Möchtet ihr ein Schlückchen probieren? Hier, nehmt ein Gläschen und sagt mir, ob das nicht der beste Slibowitz ist, den ihr jemals probiert habt? Das schmeckt, nicht wahr? Nur einen Gulden für die Flasche, aber ich bin auch mit einer Seite Speck oder 20 Eiern zufrieden.

Ach, danke, edler Herr, beste Dame. Eine wahre Freude, mit euch Geschäfte zu machen!

2022, by Dolcemara