One Time takes it all

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Ausgerechnet nach Altötting wollte meine Tante ihre Wallfahrt machen. Herrschaftszeiten, das hätte es nicht gebraucht. Aber ich hatte versprochen, ihr für ihre selbstlose Hilfe beim Kirschen einkochen einen Wunsch zu erfüllen. Hier lief ich also, trottete brav in meinen ausgelatschten Wanderschuhen durch die liebliche bayerische Voralpenlandschaft. Mein Ziel war nicht etwa ein kühles Bier in einem gemütlichen Wirtshaus, sondern gesegnetes Wasser in einem heiligen Wallfahrtsort.

„Weißt du, hochgeschätzte Tante Auguste“, hatte ich vorgeschlagen, „Wenn ich unbedingt etwas auf dein himmlisches Spendenkonto einzahlen soll, könnte ich einfach etwas für das rote Kreuz oder die Kinderkrebshilfe überweisen. Das gibt bestimmt auch den einen oder anderen Karmapunkt, was meinst du?“

Aber Tante Auguste hatte mich ungerührt angesehen und mir den Kalender vor die Nase gehalten. Widerwillig hatte ich mir einen Tag gegen Ende September aufschwatzen lassen.

Wenigstens hatte der himmlische Hauptverantwortliche für das Wetter, Petrus, mir meine Ausflüchte nicht nachgetragen und diese aberwitzige Tour mit erfreulich mildem Wetter gesegnet. Ich ließ den Regenschirm und die Thermosflasche mit dem Glühwein frohgemut zu Hause, und verstaute stattdessen die eine oder andere Dose mit Hopfentee in meinem Rucksack. Dort kuschelten sie sich friedlich an die Leberkäs-Semmeln und das Gebetsbuch. Auf das hatte Auguste bestanden, meinetwegen musste das nicht mit.

Auf einer Wallfahrt muss gebetet werden. Jedwede Kreuzung erforderte ein ‚Vater Unser‘ und jeder Kilometer wurde mit einem ‚Ave Maria‘ angegangen. So ein Kinderkram. Das letzte Mal hatte ich bei der Firmung das Ave gesprochen, aber bereits nach zehn Kilometern war der Spruch in meinem Hirn eingebrannt. Ich konnte nur hoffen, dass ich dieses traumatische Ereignis gut verarbeitete und keine bleibenden Schäden zurückblieben. Als Soforthilfemaßnahme diente der vorsorglich mitgebrachte Notfallvorrat. Selbst Tante Auguste unterbrach ihre Andacht, um sich die Kehle mit frischem Bier anzufeuchten. Auch die deftige Brotzeit verschmähte sie nicht.

Zu guter Letzt erklommen wir eine sanft gerundete Hügelkuppe, und da lag es vor uns, das schlichte Kirchlein Unserer Lieben Frau, Ziel unserer Mühen. Fast hätte ich vor Freude über den langersehnten Anblick einen Herzstillstand erlitten. Es fehlte nicht viel, ich hätte mich hingekniet und ein stilles Dankgebet gesprochen.

Tante Auguste entging meine Begeisterung keineswegs. Selbstredend interpretierte sie mein Strahlen in Gänze falsch. „Siehst du, Xaverl“, sagte sie in seliger Unkenntnis meiner wirklichen Gefühle. „Jetzt hat dir das Pilgern doch auch gefallen. Da können wir doch bald wieder einmal zusammen Wallfahrten geh’n.“

Ich schluckte. „Bestes Tantchen“, sagte ich, fest entschlossen, dieses verhängnisvolle Gedankengut gleich gründlich auszumerzen, „ich bin ein Kind der Wegwerfgesellschaft. Coffee-to-go, Wegwerfwindeln, Einmalhandschuhe. Du musst schon verstehen, unsere Generation ist halt ganz fürs One-Time-Wallfahrten.“

2022, by Dolcemara